ORTHOREXIE UND IHR STELLENWERT IN DER GESELLSCHAFT
Wenn der Wunsch, sich gesund zu ernähren, zum Zwang wird, spricht man von Orthorexia nervosa oder Orthorexie. Zwar wird kontrovers diskutiert, ob die Orthorexie ein eigenes Krankheitsbild oder lediglich ein Lebensstil ist. Unbestritten ist jedoch, dass sie bei grossem Leidensdruck die Lebensqualität stark beeinträchtigen kann.
Eine 2012 erschienene repräsentative Umfrage des Bundesamts für Gesundheit BAG ergab, dass sich fast ein Drittel der Schweizer Bevölkerung übermässig mit gesundheitsfördernder Ernährung beschäftigt. Die Orthorexie kennzeichnet die permanente Suche nach dem perfekten Essen, die pathologische Fixierung auf «richtige» beziehungsweise «gesunde» Lebensmittel. Neben der Einteilung in «gesund » und «ungesund» wenden Betroffene viel Zeit für die Nahrungsmittelauswahl auf, zählen Kalorien, Vitamine, Schadstoffe und Nährwerte, während zugleich das Genussempfinden nachlässt. Somit nimmt die Besessenheit von gesunder Ernährung schnell ungesunde Ausmasse an. Unter anderem kann ein orthorektisches Essverhalten die Entwicklung anderer Essstörungen begünstigen und aufgrund der einseitigen Ernährung zu Fehl- und Mangelerscheinungen führen.
Wer zählt zu den Risikogruppen für Orthorexie?
Laut einer aktuellen Studie von Barthels et al. tritt bei Veganerinnen, Vegetariern und Menschen, die eine Diät machen, vermehrt Orthorexie auf. Ebenso gehören Ernährungsfachkräfte, Leistungssportler sowie alle Personen, die sich aus verschiedenen Gründen restriktiv ernähren müssen oder wollen, zu den Risikogruppen. Deshalb ist ein verantwortungsvoller Umgang mit dem Thema Ernährung entscheidend. Vor allem, wenn man Empfehlungen bezüglich Ernährung ausspricht, sollte man die strikte Einteilung in «gute» und «schlechte» Lebensmittel vermeiden. Immer wieder kommen Patientinnen und Patienten in die Privatklinik Aadorf und berichten von triggernden Aussagen in Bezug auf die Ernährung, welche sie sehr verunsichern – zum Beispiel «Kohlenhydrate sind ungesund» oder «Fett macht dick».
Häufig gilt es zunächst, die eingebrannten Glaubenssätze zu berichtigen und das Vertrauen in eine regelmässige Mahlzeitenstruktur wiederherzustellen. Die vielen verschiedenen Empfehlungen seitens der Gesellschaft irritieren gerade junge Frauen sehr. Entsprechend wichtig ist die Sensibilisierung bezüglich Orthorexie – besonders bei Ernährungsfachkräften, Ärzten und Pflegepersonal, aber auch in der Gesamtgesellschaft.
Orthorexie und Essstörungen
Im Bereich der Essstörungen weist die Orthorexie deutliche Parallelen zur Anorexie auf. Deshalb könnte man die beiden Störungsbilder bei der Diagnose leicht miteinander verwechseln. Auch darum ist es essenziell, dass Ärztinnen, Psychologen und Ernährungsfachkräfte besonders genau hinschauen. Sowohl bei den Essstörungen als auch bei der Orthorexie zeigen die Erhebungen, dass vermehrt Frauen betroffen sind. Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass bei der Orthorexie wie bei der Anorexie das Essen im Mittelpunkt steht. Daneben gibt es aber auch klare Unterschiede. Während bei der Anorexie die Quantität der Lebensmittel (wenig und energiereduziert) im Vordergrund steht, ist es bei der Orthorexie vornehmlich die Qualität des Essens (möglichst gesund, da Angst vor Krankheiten).
Diese Erkenntnisse zeigen sich auch in der Arbeit der Ernährungsberatung auf der Station für Menschen mit Essstörungen. Häufig wird die Orthorexie von den Patientinnen und Patienten als «Türöffner» für Essstörungen beschrieben. Der aktuelle Trend der Selbstoptimierung und die sozialen Medien begünstigen den Verlauf und führen dazu, dass sich besonders junge Frauen zu extremen Ernährungsweisen hingezogen fühlen. Leider wird dabei immer weniger Wert auf eine bedarfs- und bedürfnisorientierte Ernährung gelegt.
Behandlung der Orthorexie
In Anlehnung an die Therapie von Essstörungen wird auch bei der Behandlung von Orthorexie eine Ernährungsberatung empfohlen. Dabei geht es insbesondere darum, das Essverhalten zu normalisieren. Die Betroffenen sollen lernen, sich wieder etwas zu gönnen und zu geniessen, ohne nach Nährwerten oder gesundheitlichen Folgen zu fragen.
Bei der täglichen Arbeit mit Menschen mit Essstörungen fällt immer wieder auf, dass Essen viel mehr ist als das Stillen von Hunger. «Essen» und «Nichtessen» erfüllen verschiedene Funktionen, weshalb Hunger und Sättigung meist nicht beachtet werden. Durch anhaltendes Ignorieren rücken die Signale des Körpers immer weiter in den Hintergrund und werden von den Patientinnen und Patienten häufig gar nicht mehr erkannt. Die Ernährungsberatung versucht, die Wahrnehmung durch verschiedene Angebote wie Genusstraining, Kochgruppe, Essnachbesprechung und Reflektion zu stärken, damit Betroffene wieder auf ihren Körper vertrauen können. Um diesen Prozess zu unterstützen, werden unter anderem Portionsgrössen, Mengenangaben sowie Tellerbeispiele vermittelt – sowohl theoretisch als auch praktisch bei der Schöpfbegleitung.
Daneben verfolgt die Ernährungstherapie in der Privatklinik Aadorf zahlreiche weitere Ziele – zum Beispiel das Erreichen eines natürlichen und entspannten Umgangs mit Essen, die Zunahme respektive Stabilisierung des Gewichtes, das Einhalten einer regelmässigen Mahlzeitenstruktur, die verstärkte Bereitschaft zum Essen in Gemeinschaft oder die Vermeidung von Kompensationsverhalten. Die Tabuliste mit «verbotenen» Nahrungsmitteln soll kleiner, der innere Spielraum rund ums Essen hingegen grösser werden. Besonderes Augenmerk liegt nicht zuletzt auf dem Transfer von Kompetenzen in den Alltag, etwa durch das Führen eines Essensplans oder Einkaufstraining. Am Ende soll das Essen nicht mehr einem Zwang unterliegen, sondern den individuellen Bedürfnissen folgen.
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